Als wir zu Hause los fuhren dachten wir noch, Hoek van Holland sei das Ziel dieser Radreise. Doch schon in den ersten Tagen merkten wir, dass der Weg das Ziel ist. Die Auen mit ihren Enten, Wildgänsen, Hasen, Störchen und so weiter, hatten eine entschleunigende Wirkung und wir genossen die Fahrt.
08.05.2023
Nun waren es 20 Tage, die Pausentage nicht mitgezählt, an denen wir unterwegs waren. 54 Kilometer radelten wir im Schnitt. Manchmal mehr, manchmal weniger. Morgen würden es nur etwa 35 Kilometer sein. Morgen würden wir das Ziel des Eurovelo 15 erreichen. Beim Nachtessen besprachen wir, wie jeden Abend, kurz den morgigen Tag. Aber schon als ich mit: „Morgen erreichen wir das Ziel“ begann, sagte Zora: „Papi, der Weg ist doch das Ziel“. Es war keine hohle Phrase. Wir hatten die letzten Wochen nach diesem Prinzip gelebt. „Nur 35 Kilometer?“, meldete sich Ronja. „Da werden meine Muskeln ja nicht einmal warm“, posaunte sie noch überheblich.
09.05.2023
Am darauffolgenden Morgen war das Wetter schlecht. Wir kannten die Wettervorhersage. Aber das Wetter war noch schlimmer als befürchtet. 7 Grad, 25km/h Gegenwind und Dauerregen. Wäre uns das irgendwo auf dem Weg passiert, hätten wir einen Tag Pause eingelegt. Aber nun mussten wir auch bei Regen fahren. Die Rückfahrt in die Schweiz mit dem Zug war reserviert und alle Plätze für Fahrräder in den nächsten 3 Wochen bereits ausgebucht. Und genau heute, am Tag unserer Ankunft in Hoek van Holland, mussten wir das schlechteste Wetter der gesamten Fahrt erleben.
Es half alles nichts. Wir bereiteten uns in einem Unterstand vor. Die komplette Regenmontur. Die Segeltaschen in Müllsäcke einpacken, den Inhalt der Satteltaschen ebenfalls. Wasserdicht, das hatten wir bereits gelernt, war relativ. Unsere Strategie war heute einfach. Kopf runter und durch. Wir wollten kein einziges Mal anhalten. Denn es war jetzt schon klar, dass wir komplett durchnässt werden würden. Wenn man dann anhält, bei diesem Wind und dieser Kälte, dauerte es nicht lange bis man krank war. Wir radelten denn auch erst um 11Uhr los, damit wir am Ziel direkt die Zimmer beziehen konnten.
Ich machte Ronja das Angebot, heute im Anhänger zu fahren. Wir würden dann die Segeltaschen auf die Satteltaschen zurren und ihr Fahrrad hinten auf den Anhänger schnallen. Aber sie weigerte sich. Sie sei doch nicht bis hierher gefahren, um dann im Anhänger über die Ziellinie gefahren zu werden! Bewundernswert, wie sie es allen beweisen wollte!
Die Strecke verlief zunächst durch Rotterdam. Danke an der Stelle dem Busfahrer, der uns gleich zu Beginn so richtig vollspritzte und dem LKW Fahrer, der uns später ausserorts bei einer Baustelle wo wir auf die Strasse umgeleitet wurden, so richtig die Gischt ins Gesicht donnerte.
Unter einer Brücke hielten wir nach einer Stunde kurz an um etwas zu trinken. Zora meinte sarkastisch, dies sei ihr neues Lieblingswetter. Kennt ihr übrigens den Vorteil von Goretex Schuhen? Genau! Das Wasser läuft nicht raus 🙂 Bei uns allen waren die Schuhe bereits bis oben hin mit Wasser gefüllt. Wäre der Regen einfach von oben gekommen, hätten die Kleider vielleicht noch eine Chance gehabt. Aber bei diesen Windstärken war der Kampf aussichtslos.
Kurz nach Rotterdam führte uns die Beschilderung zum Rheinuferweg. Direkt gegen den Wind, welcher nun „etwas aufgefrischt“ hatte. Um mehr Kraft auf die Pedale zu bringen stand Ronja auf, doch so hatte sie noch viel mehr Windwiederstand. Sie kämpfte. Zora, im kleinsten ihrer 21 Gänge, fiel langsam zurück. Auf sie warten wollte hier niemand. Schlussendlich fanden wir einen Radweg, welcher hinter dem Hauptdamm verlief. Etwas windgeschützter im starken Regen, kam uns das schon viel angenehmer vor.
Die Kilometer schmolzen langsam heute. Zum Glück waren es nur 35. Deshalb freuten wir uns riesig, als wir beim Ortsschild Hoek van Holland eintrafen. Ein Fotostopp hier musste einfach sein.
Wir wollten unbedingt raus aufs Pier. Dort, wo der Weg im Meer endet. Wir wollten unser Zertifikat abholen. Dieses hatten wir uns so richtig verdient! Aber heute konnten wir nicht mehr. Warm duschen, die Schuhe föhnen und die Kleider trocknen, stand im Vordergrund.
Beim Nachtessen gönnten wir uns ein Glas Sekt und ein Glas Wein. Die letzten 4 Wochen hatten wir komplett auf Alkohol verzichtet, bereits vor der Abfahrt damit begonnen. Einen ganzen Monat ohne Alkohol hatte ich wohl seit meiner Jugendzeit nicht mehr. Irgendwie fühlte es sich heute schlecht an zu trinken, den Rekord an Tagen nicht weiter auszubauen. Es war ein schöner Abend. Im Wintergarten des Restaurants genossen wir kleine Vorspeisen, erzählten uns Annektoten der Fahrt, schauten auf die Rheinmündung hinaus, wo Schlepper die Ozeanriesen zum Hafen begleiteten. Voller Vorfreude auf den nächsten Tag gingen wir schlafen.
10.05.2023
Noch immer regnete es. Im wissen auf besseres Wetter später am Tag, trödelten wir herum. Erst als uns die Zimmermädchen aus den Zimmern scheuchten, machten wir uns zur Abfahrt bereit. Der Plan ging auf. Es blieb trocken.
Ronja wusste das man eine Auszeichnung erhielt, wenn man den ganzen Weg gefahren war. Wie diese Auszeichnung genau aussah, darüber haben wir nie gesprochen. So fragte sie an diesem Morgen, ob wir nun den Pokal abholen werden 😊
Im örtlichen Tourismusbüro wurden uns allerlei Fragen und Fangfragen gestellt. Waren wir die Strecke wirklich abgefahren? Der nette Mitarbeiter wollte nicht recht glauben, dass Ronja die ganze Strecke selber gefahren ist. An zwei Tagen kam tatsächlich der Anhänger zum Einsatz. An dem Tag als sie stürzte und als wir den Fahrtag mit knapp 80 Kilometer hatten, mochte sie nach 60 Kilometer nicht mehr. Wir fanden, sie habe das Zertifikat trotzdem verdient. Mit den ganzen Umleitungen hatten wir ohnehin viel mehr Kilometer gemacht, als es die Eurovelo 15 Strecke vorsah. Auf 250 Kilometer extra summierten sich die Umleitungen. Ja, das könne er gelten lassen, meinte der Mitarbeiter und stempelte die Zertifikate.
Die Zertifikate andächtig in einer Plastikmappe verstaut, machten wir uns auf den Weg hinaus zum Pier. Der Mitarbeiter im Tourismusbüro hatte uns darüber informiert, dass hier das fahren mit Fahrrädern verboten sei. Im nächsten Satz gab er dann aber zu, dass er selbst dort auch fahre.
Wir fuhren sehr langsam. Diese zwei Kilometer wollten wir geniessen. Sand unter den Reifen. Bis ganz nach vorne fuhren wir. Den Weg ganz ausreizend.
Fast menschenleer war das Pier. Links der Rhein, rechts das Meer. Vorne am Pier ein scheusslicher Leuchtturm. Da dürften auch mal ein paar Euro der Tourismustaxen investiert werden.
Wir machten Fotos und fuhren dann noch ein wenig am Strand entlang. Und dann, dann freuten wir uns so richtig darauf, dass heute der starke Wind von hinten kam! Wir mussten ja wieder zurück nach Rotterdam, von wo aus wir mit der Bahn nach Hause fuhren.
So eine Fahrradfernreise, da waren wir uns alle einig, möchten wir gerne wieder einmal unternehmen!