Der Kojote ist ein nordamerikanischer Steppenwolf, sagt Wikipedia. Zuweilen hat das Wort aber noch eine zweite Bedeutung. Auch Schlepper, welche Personen illegal über die Landesgrenzen bringen, werden so genannt. Sonst kenne ich das nur aus Reportagen, beim Grenzübergang in Peñas Blancas waren wir dann aber plötzlich mitten drin, in der Reportage.
In Nicaragua haben wir uns den Luxus geleistet, alle Fahrten mit Taxis zu unternehmen. Teuer war es ohnehin nicht, zudem ist das Land klein und der Verkehr, sagen wir mal, „wild“. Mit der Zeit wurde uns von der Agentur immer der selbe Fahrer geschickt. Mauricio war Mitte vierzig und stand über 20 Jahre lang im Polizeidienst Nicaraguas. Er war dort in der Aufklärung von Gewaltverbrechen tätig. Die schrecklichen Taten und die Korruption hat er irgendwann nicht mehr ertragen können und so suchte er sich den ruhigen Job als Chauffeur. Ja, vielleicht war er ein bisschen mehr als nur Chauffeur. Er war auch unser Sicherheitsberater und Bodyguard.
So fuhr er uns an diesem Morgen die eineinhalb Stunden zur Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica. Für uns Schweizer ist dies einfach eine Landesgrenze, zwischen zwei armen Ländern. Für Menschen aus Nicaragua aber, ist es das Tor in eine bessere Welt. Das Durchschnittseinkommen in Costa Rica ist fünf mal so hoch wie in Nicaragua. Und so probieren Massen von Wirtschaftsflüchtlingen, das Land Richtung Süden zu verlassen. Mauricio durfte die Grenze nicht passieren. Auch sein Fahrzeug, genauso wie alle anderen Fahrzeuge, durften die Landesgrenze nicht passieren. Wir konnten uns das gar nicht richtig vorstellen und waren ziemlich aufgeregt, was uns dort wohl erwarten würde. Er müsse in die Hauptstadt fahren um sich dort ein Visum zu holen. Der Prozess daure etwa drei Monate und koste ihn um die 500 Dollar. In 80% der Fälle werden die Anträge abgelehnt. Fluchtgefahr sozusagen. Auch für Fahrzeuge sind die bürokratischen Hürden so hoch angesetzt, dass niemand den Aufwand auf sich nimmt. So kann man sich als Tourist wohl ein Busticket von Managua (Nicaragua) nach San Jose (Costa Rica) kaufen, vor der Grenze muss man den Bus allerdings verlassen, sein Gepäck schultern und den knappen Kilometer bis ins nächste Land zu Fuss hinter sich bringen. Dort wartet dann ein anderer Bus der gleichen Gesellschaft und die Reise geht weiter.
Mauricio fuhr erst zügig, dann, je näher wir der Grenze kamen immer gemächlicher. Im Innenspiegel erkannten wir, dass er in sich gekehrt war. Das Gespräch war verstummt, seine Mine war traurig. Eben wurden wir an einem Checkpoint von der Polizei herausgewinkt. Mauricio habe sich auf der Strasse schlecht benommen, sagte der Polizist und wollte 800 Cordobas bar auf die Hand. Mit 500 wäre er wohl auch zufrieden. Aber Mauricio wollte nicht bezahlen. Genau aus diesem Grund war er aus dem Polizeidienst ausgetreten. Und nun wurde ihm wieder einmal auf schmerzliche Weise vor Augen geführt, dass er der Situation nicht entfliehen konnte. Die Landesgrenze war seine Gefängnismauer.
Wenige Minuten vor der Grenze begann er das Gespräch wieder. Er gab uns Verhaltensratschläge, sagte uns, was wir vermeiden sollten. Schon waren wir da. Wir hielten am Strassenrand, das Fahrzeug noch verschlossen. Bereits umzingelten Menschen welche irgendwas von uns wollten, das Fahrzeug. Die Mädchen wussten bereits, wie sich sich zu verhalten hatten. Wir haben das schon am Vortag und dann nochmals im Auto miteinander besprochen. Nahe zusammenbleiben, auf das Gepäck achten, kein „Gschiss“, zügig weiter gehen. Wir verabschiedeten uns herzlich von Mauricio und öffneten dann die Wagentüre. Allerlei Angebote wurden uns auf Englisch und Spanisch zugetragen. Mauricio schaffte Platz hinter dem Kofferraum, um die Übersicht nicht zu verlieren, bevor er diesen öffnete. Wir hatten bereits besprochen, wer für welche Gepäckstücke verantwortlich sein wird und so übergab Mauricio jedem seine Rollköfferchen und Rucksäcke. Die Männer um uns herum wollten nicht locker lassen. Ich fragte Mauricio etwas leiser, was die denn alle von uns wollten. „Coyote“, sagte er nur. Schleuser also. Abschaum. Kriminelle, denen das Wohl der eigenen Kunden dermassen egal ist, dass sie vor nichts zurückschrecken. So sehen die also aus. Schnell weg hier.
Ich verabschiedete mich mit einem Handschlag von Mauricio, den kompletten Rest unserer Nicaraguanischen Barschaft in meiner Grusshand vor fremden Blicken verborgen. So zottelten wir los. Die ersten Meter über die dreckige Piste mussten wir uns orientieren. Nichts war hier beschildert. Mauricio schaute uns traurig nach. Fast schien mir, er sei den Tränen nahe, wie er zusehen musste, mit welcher Einfachheit wir ausreisen konnten.
Bereits nach etwa 200 Metern die erste Kontrolle. Wie schwerkriminelle wurden wir gemustert. Mitten auf der Strasse, kein Zollhäuschen weit und breit. Es wurde einfach mal geschaut, ob man überhaupt in die Nähe des Grenzpostens gehen durfte. Jeder Pass wurde genau beäugt. „Pase“ schnauzte uns der Zollmitarbeiter an. Also weiter. Eine grosse Halle stellte sich uns ein paar Minuten später in den Weg. Die Schlange bis vor den Eingang verhiess nicht Gutes. Wir wollten uns gerade anstellen, da wurden wir hereingerufen. Ob wir mit dem Bus unterwegs seien, fragte die Dame. Nein, antwortete ich. Dann dürfen wir an der Schlange vorbei. Sie zeigte in den Raum. Es koste 2 Dollar pro Person, um den Raum zu betreten. Sie hielt die Hand auf. Immerhin hatte sie eine Quittung bereit. Ich bezahlte und wir durften zum Schalter. Eine sehr freundliche Zöllnerin nahm sich uns an. Mit kleinen Kindern hat man es am Zoll bei weiblichen Zollbeamten oft einfacher. Sie lächelte und stempelte. Sehr gut. Dann hielt auch sie die Hand auf. 12 Dollar kostete es dieses Mal. Das Geld wanderte in die rechte Brusttasche ihrer Bluse. Nun wurde unser Gepäck gescannt. Wie am Flughafen. Am Ende spuckte uns die Halle hinter sich, im Niemandsland zwischen den zwei Landesgrenzen wieder aus. Unweigerlich musste ich an den Film „Terminal“ denken, in welchem Tom Hanks genau in so einem Niemandsland gefangen war. Er durfte weder in das eine, noch das andere Land einreisen, weil genau in diesem heiklen Moment sein Pass für ungültig erklärt wurde. Wir hofften das Beste!
Es war ein weiter Weg, bis zum costa-ricanischen Zoll. Wohl über einen halben Kilometer. Heiss war es. Keine anderen Touristen weit und breit. Die Anderen bevorzugten auf dieser Strecke wohl das Flugzeug. Endlose Kolonnen von panamaischen Lastwagen standen hier herum. Mit Schrott beladen, den man in Nicaragua wohl noch als Wertstoffe bezeichnete. Ein Zöllner winkte uns zu sich. Die Pässe wollte er sehen. Kontrollieren, ob wir wirklich den Ausreisestempel im Pass haben. Er hatte nichts zu tun, wir waren weit und breit die Einzigen. Ja. Alles in Ordnung. „Willkommen in Costa Rica“ meinte er dann breit lächelnd und zeigte mit einer weit einladenden Handgeste auf die Strasse vor uns. Den Mädchen bot er am vorbeigehen noch einen „gimme five“ Handschlag an, welchen diese dankbar erwiderten.
Fast haben wir es geschafft. Ronja begann jetzt doch zu stänkern. Die Prozedur dauerte nun schon eine Weile und wir waren noch immer nicht im neuen Land eingereist. Wir marschierten noch eine Weile mit unseren Rollkoffern, bevor wir zur etwas kleineren Halle mit den Zöllnern von Costa Rica kamen. Hier mussten wir nichts bezahlen. Die Korruption haben wir wohl an der Landesgrenze zurückgelassen. 30 Tage wurden uns gewährt. Ich wusste, dass wir eigentlich 90 zu gut gehabt hätten. Aber wir würden nach 23 Tagen ohnehin wieder ausreisen. Ein weiteres Mal wurde unser Gepäck durch den Scanner geschickt, bevor wir auch aus dieser Halle austreten durften.
Wahnsinn, welcher Aufwand so ein Grenzübertritt hier war. Kein Wunder geht hier niemand günstig einkaufen oder arbeitet als Grenzgänger im anderen Land. Denn auch die Reise von Costa Rica Richtung Nicaragua ist nicht minder beschwerlich, da Nicaragua einen monströsen Papierkrieg für Reiselustige bereithält.
So. Nun mussten wir uns aber auf die Suche nach einem Taxi machen, welches uns die 80 Kilometer bis zur Autovermietung in die Stadt Liberia fährt. Denn von Dort wollten wir ja heute noch in das kleine Küstenstädtchen Samara weiterfahren. Lediglich 295 Kilometer würden wir bis heute Abend insgesamt zurücklegt haben. Ob Mauricio es wohl jemals so weit schaffen wird?
1 comment
He hallo Ihr Lieben.
Ihr seid ja vier unerschrockene „Musketiere“. 🙂 Ich habe erst die Coyoten gelesen. Doch es macht echt Spass und ich respektiere die grosse Arbeit die dahintersteckt. Ich wünsche Euch weiterhin viel Spass und ich werde mich bei Gelegenheit wieder melden.
Bitte grüsst Ronja und Zora ganz herzlich von mir und lasst Sie wissen dass ich ganz Stolz und auch ein bisschen neidisch auf Sie bin.
LG Thomas