Das Bauchgefühl

by Jörg
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Es sei der schönste See in Ecuador, hat man uns versprochen. Also nahmen wir den eineinhalbstündigen Umweg auf uns, um den Quilotoa Kratersee zu besuchen.

Bereits bei der Einfahrt in die Ortschaft wurden wir angehalten. Es koste Eintritt. 2 Dollar pro Person. Das war speziell. Keine zweihundert Meter weiter gab es schon wieder eine Strassensperre. Wir dürfen nicht weiter, sondern müssen auf einen kostenpflichtigen Parkplatz fahren. Das wollten wir dann aber nicht akzeptieren, weil in der Hotelreservation kostenlose Parkplätze zugesagt waren. Nach ein wenig diskutieren durften weiter.

Im zweistöckigen Hotel waren keine weiteren Gäste anwesend. Man sah dies, weil die Zimmertüren der unbewohnten Zimmer offen standen. Also alle Türen. Lediglich ein Mitarbeiter spielte am Smartphone herum. Er begleitete uns in das kleine Rezeption Zimmerchen am Ende eines Ganges.
Ob wir denn schon bezahlt hätten, fragte er. Leider gab es hier am Vulkankrater keinen Mobilfunkempfang. So konnte ich nicht nachschauen, ob Booking mir den Betrag abgezogen hatte. Dies hat ansonsten eigentlich immer funktioniert, warum sollte es also dieses Mal nicht? Er müsse den Chef holen, deutete mir der Mitarbeiter an und verschwand ins gegenüberliegende Restaurant. Eine gute Weile später, kam er mit einem weiteren Mann zurück. Sie sprachen auf Ketschua, der hier verbreiteten indigenen Sprache. Ich bekam das WLAN Passwort vom Chef. Tatsächlich wurde mir der Betrag noch nicht abgezogen. Ojeh, grosses Problem, hiess es nun. Sie hätten kein Gerät für Kreditkartenzahlungen. Nur Barzahlung. Die 163 Dollar inklusive Mahlzeiten und Mehrwertsteuer (welche von Ausländern eigentlich nicht bezahlt werden muss) hatten wir aber bei weitem nicht dabei. Der Chef war ratlos. Was ich denn nun tun sollte, fragte ich. Er wisse es auch nicht. Also ging ich mich mit Nathalie beraten. Das waren ja Flaschen hier. Ich konnte ja wohl kaum der erste Tourist sein, welcher nicht so viel Bargeld mit sich herumschleppt. Die Gefahr ausgeraubt zu werden war realistisch und so wollten wir nie viel Bargeld dabei haben.
Neben dem Hotel hatte Nathalie einen Bankomaten gesehen. Ich versuchte mein Glück vergeblich. Das Gerät funktionierte nicht. Wieder zurück an der Rezeption riet man mir, eine Viertelstunde die einzige Strasse zurück zu fahren. In der Nachbarsortschaft gäbe es einen Bankomaten, welcher funktioniere. Ich ärgerte mich. Wir waren heute bereits über vier Stunden lang gefahren. Das Letzte was ich wollte, war jetzt nochmals eine halbe Stunde zu fahren, weil diese Leute vergessen hatten, den Betrag bei Booking zu belasten. Ich beriet mich wieder mit Nathalie. Ob wir ein anderes Hotel nehmen sollten? Es gab hier wirklich nicht viel. Ob wir weiterfahren sollten? Das nächste Hotel war über eine Stunde Fahrt entfernt. Also dann halt doch in den sauren Apfel beissen und den Bankomaten im letzten Ort aufsuchen.
Nun fand ich aber weder Chef noch Mitarbeiter wieder. Zora verriet mir, dass beide ins Restaurant gegangen seien. Das durfte doch nicht wahr sein!

Eine Stunde später waren wir im Zimmer, die Rechnung war bar bezahlt, eine Quittung konnte man mir leider keine ausstellen. Wir ruhten uns ein wenig aus. Um halb sieben würde uns im Restaurant gegenüber ein Nachtessen zubereitet. Dieses gehörte wohl zum Hotel dazu. Wir unterhielten uns über die komischen Gegebenheiten. Unser Auto durften wir direkt vor dem Hotel parkieren. Die Koffer mit dem Schulmaterial hatte ich im Fahrzeug gelassen. Nathalie fragte mich, ob ich diese nicht noch ins Zimmer hoch holen wollte. Aber irgendwie hatte ich bei den Typen hier kein gutes Gefühl. Das sagte ich Nathalie dann auch. Es war auf der ganzen Reise das erste Mal, dass ich Bedenken geäussert hatte und so packten wir die meisten unserer Wertsachen in den Rucksack, welchen wir zum Znacht mitnahmen. Tresor gab es in dem Zimmer nicht. Wir schlossen ab und dachten nicht weiter darüber nach.

Währenddem der Koch das Essen zubereitete, sassen wir um einen Ofen und unterhielten uns mit einem Kollegen des Hotelchefs. Hier auf 3900 Metern über Meer war es recht kühl. Das Nachtessen war überraschend gut. Wir waren die einzigen Gäste, das störte uns aber nicht. Gleich nach dem Hauptgang wollten wir bezahlen. Das Wasser und die zwei Bier kosteten vierzehn Dollar, das Essen war inklusive. Wucher, aber es gab keine Alternativen hier. Ob wir kein Dessert oder Kaffee möchten? Nein danke. Der Hotelchef war in der Zwischenzeit auch im Restaurant aufgetaucht und hatte just in dem Moment als wir aufbrechen wollten, ein Telefonat zu führen. Dazu stand er ans Fenster und schaute hinaus in die Dunkelheit auf die gegenüberliegende Strassenseite, wo sich das Hotel befand. Er sprach wieder auf Ketschua, wir verstanden nichts. Wir freuten uns auf den morgigen Tag mit der Wanderung zum Kratersee und spazierten gut gelaunt zurück ins Hotel.

Nathalie hatte Probleme damit, die Zimmertüre zu entriegeln. Ich zog sie damit auf, weil ihr das ab und zu mal passiert. Im Zimmer fiel mir erst nach ein paar Minuten auf, dass der Laptop in meinem Koffer verkehrt herum lag. Ich sei ja pedantisch veranlagt, sagt man mir nach. Aber wenn ich den Laptop so in den Koffer legen würde, könnte ich den Koffer nicht schliessen. Auch die Laschen der Sanitätstasche, welche sich in meinem Koffer befindet, lagen nicht so, wie ich diese immer herrichte. Ich fragte also Nathalie, ob sie vorhin etwas aus der Sanitätstasche genommen habe. Nein, habe sie nicht. Also schaute ich genauer hin. Meine Kleider waren ein wenig ausser Form zusammengefaltet. Das konnte vom Transport her rühren. Ich schaute in meinem Handgepäck nach. Dort befanden sich unsere Reisepässe in einem wasserdichten Zipper Beutel. Der war jetzt allerdings unverschlossen und die Pässe lagen nicht mehr alle in Reih und Glied. Nun war ich mir sicher. Unsere Sachen waren durchsucht worden. Ich war fassungslos. Eigentlich konnte ich es gar noch nicht richtig glauben. Ich musste mich täuschen. Ich erzählte den Anderen, dass ich mir sicher sei, dass meine Dinge durchsucht worden waren. Also schauten wir alle nach, was denn fehlte. Bei Ronja war es das Kleingeld, welches sie jeweils für uns alle aufbewahrte. Aber nur die Münzen über 10 Cent. Der Rest war noch da. Auch den Anderen fielen nun Dinge auf, die sie nie so packen würden. Bei mir fehlte nichts. Im Gepäck der Kinder fehlte Ronjas Jacke. Ausgerechnet jetzt, wo wir in die kälteren Regionen kamen. Bei Nathalie fehlte ein vor zwei Tagen gekauftes Souvenier. Eine gestrickte Jacke. Und dann fehlten noch die Geschenke, welche Nathalie den Kindern aus der Schweiz für den 06.12. mitgebracht hat. Zwar nur Schokolade, aber es fehlte. Vor allem Ronjas Jacke machte mich stinksauer. Eine wasserdichte Jacke mit Innenfutter in der Grösse für eine Sechsjährige, war für uns in den nächsten zwei Wochen nicht zu bekommen. Ronja würde also frieren müssen. Das war zu viel. Ich zog mich an um den Hotelchef zur Rede zu stellen. Zora nahm ich mit. Als Meldeläuferin sozusagen. Denn Handyempfang gab es hier ja keinen. Jedenfalls hatte unser Anbieter hier keinen Roamingpartner.

Der Chef war noch im Restaurant. Ich sagte ihm, dass ich gerne Draussen mit ihm reden würde. Er folgte mir sofort hinaus. Als ich ihm sagte, dass ich unsere Dinge wieder zurückhaben wolle, wurde er merklich bleich und nervös. Ich war bestimmt, aber nicht unfreundlich. Er wand sich mit irgendwelchen Ausreden. Manchmal spielen Kinder im Hotel. Klar. Unser Zimmer war abgeschlossen. Da kommen keine Kinder hinein. Ob er sich im Zimmer umsehen dürfe, fragte er. Ich fragte ihn, was das nützen soll. Ich könne ihm die Dinge welche fehlen, ja schlecht zeigen. Wir diskutierten und ich wurde energischer, während wir Richtung Hotel gingen. Ich verlangte, er solle den Dieb anrufen. Der soll die Dinge zurückbringen. Er kannte in diesem kleinen Kaff sicher jeden. Im Hotel angekommen fing er an, unter den Betten in den anderen Zimmern zu suchen. Eine Farce. Ich drohte mit der Polizei. Da sagte er, er hätte noch eine Idee. Er räumte alle Dinge weg, welche auf meinem Nachttisch lagen und stellte den Nachttisch vor den Einbauschrank in unserem Zimmer. Dieser hatte Übergrösse. Rund zwei Meter dreissig hoch. Oh, da seien ein paar Dinge oben auf dem Schrank, tat er ganz erstaunt. Immernoch schön zusammengelegt, kam Ronjas Jacke und dann auch die anderen Dinge zum Vorschein. Das passiere manchmal, wenn Kinder wild spielen, meinte er. Er deutete auf Zora und Ronja. Das war ja die Höhe!

Etwa eine halbe Stunde später, der Hotelchef/Hoteldieb war längst gegangen, diskutierten wir noch immer über das Geschehene. Nathalie wusste jetzt, warum sie die Tür nicht aufschliessen konnte. Der Dieb hatte diese in der Eile gar nicht verschlossen gehabt. Wir wussten jetzt auch, weshalb nach unserem verfrühten Aufbruch, der Hotelchef sofort telefonieren musste. Er musste seinen Komplizen verständigen. Was für ein abgekartertes Spiel. Die Touristen hatten alle keinen Handyempfang und wurden gezwungen Bargeld zu besorgen. Falls dann einer die Polizei verständigte, wurde ja nichts gestohlen, sondern lediglich verlegt. Und wenn die Touristen am nächsten Tag abreisten, waren sie selber Schuld, wenn sie ihre Dinge im Hotelzimmer vergassen.

Am nächsten Morgen brachten wir das Gepäck ins Auto, bevor wir uns auf den Weg zur Wanderung machten. Die etwa fünfjährige Tochter des Hotelchefs spielte unten im Eingang.
Hätte ich Handyempfang gehabt, hätte ich da schon die e-mail von Booking.com erhalten, in der es um die Strafgebühr wegen No-show, also nicht erscheinen, ging. Was für eine Schweinerei! Immerhin konnten wir so die Wanderung noch geniessen. Schlussendlich konnte ich Booking.com anhand von Fotos aus dem Restaurant und dem Hotelzimmer auch beweisen, dass wir dort übernachtet haben. Quittung hatte ich ja keine erhalten.

Das Hostal PrincesaToa ist weiterhin auf Booking.com zu finden, als ob nichts gewesen wäre. Booking will für die Qualität der gelisteten Hotels nicht verantwortlich sein.

An diesem Abend begriff Zora zwei Dinge. Wie wichtig es hier war, Spanisch zu lernen und das es auch Vorteile hatte, pedantisch zu sein.

3 comments

Melanie 4. Dezember 2022 - 22:11

Puh, Chapeau für Eure Nerven!!! Das liest sich ja total absurd. Es ist gut, wenn man seine Ordnung hat und es auffällt, wenn etwas anders ist. Krass. Ich hoffe, es geht jetzt entspannter weiter

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Stefan 5. Dezember 2022 - 1:47

Huh,- das ist ja krass,- ich hätte die Nerven dafür nicht gehabt und wäre gleich wieder abgereist !
Ich bewundere Euch 4 … !!!

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Thomas Schuler 8. Dezember 2022 - 10:22

Das ist so schade, dass man solche Erlebnisse haben muss.
Ihr habt das gut hingekriegt. Gratuliere.

Weiterhin gute Reise und bleibt Wachsam.

LG Thomas

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